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  • Mi. | 12. 01. 2022
  • Personalia / Engagements

Musikwissenschaftler Prof. Dr. Volker Scherliess ist tot

Der Musikwissenschaftler Dr. Volker Scherliess, von 1979 bis 1991 Professor für Musikwissenschaft an der Staatlichen Hochschule für Musik Trossingen, ist am 5. Januar 2022 in Lübeck gestorben.

Für die Hochschule und die Trossinger Studierenden war Volker Scherliess der inspirierende, stets agile, außergewöhnliche Pädagoge, für viele darüber hinaus lange Jahre Mentor, der sie für ihr Studienfach begeisterte. In unzähligen internationalen Publikationen und Vorträgen hat er vielen Menschen die Musik nahegebracht. Die Trossinger Hochschule verdankt dem langjährigen Senats-Mitglied zahlreiche Impulse in pädagogischer Hinsicht und in inhaltlicher Ausrichtung; sein freundschaftlicher Ton, seine verbindliche Art und sein hoher akademischer Anspruch haben die Institution in ihrer Aufbauzeit entscheidend mitgeprägt.

Geboren am 26. März 1945 in Osterode/Harz, wuchs Volker Scherliess in Flensburg auf und studierte an den Universitäten Hamburg und Florenz Philosophie und Kunstgeschichte mit dem Schwerpunkt Musikikonographie, der Untersuchung musikalischer Inhalte auf Kunstwerken, die er 1971 mit Dissertation abschloss. Ab 1972 war er Mitarbeiter in der Musikgeschichtlichen Abteilung des Deutschen Historischen Instituts in Rom, wo sich seine emotionale Bindung zu Kultur, Sprache und Lebensweise Italiens verfestigte. 1977 holte ihn der renommierte Musikwissenschaftler Georg von Dadelsen als Assistent an die Universität Tübingen, 1979 erhielt er mit 34 Jahren den Ruf als Professor für Musikwissenschaft an die Staatliche Hochschule für Musik Trossingen. Die Trossinger Jahre darf man als besonders fruchtbare im Schaffen von Volker Scherliess bezeichnen. Neben zahlreichen Veröffentlichungen, insbesondere die roror-Monographien über Alban Berg oder Gioacchino Rossini, waren Igor Strawinsky oder Eduard Erdmann Gegenstand seiner Forschungen, zu vielen legendären Künstlern wie dem Dirigenten Igor Markevitch, der Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf oder dem Komponisten Wolfgang Rihm u.a. pflegte er persönliche Kontakte. An seinem universellen Wissen und seinen Beziehungen in der Kunst- und Musik-Welt ließ Volker Scherliess seine Studierenden stets teilhaben, organisierte Reisen zu Konzerten und Ausstellungen, lud Kollegen und Virtuosen nach Trossingen ein. Legendär die manchmal ausgiebigen Diskussionsrunden beim Vergleich historischer Aufnahmen in Scherliess‘ Wohnung, begleitet von italienischer Kulinarik, über die Dozenten und Studierende noch heute berichten: nie wieder habe man so viel über Musik gelernt. An der Trossinger Hochschule war er Mitbegründer der Stiftung August-Halm-Preis, deren Auszeichnungen an die Dirigenten Ernest Bour (1989) und Aloys Kontarski (1992) ihr Wirken für ein „ästhetisches Wertebewusstsein“ und verantwortungsvollen Umgang mit Musik würdigten.

Zusammen mit Prof. Helga Kirwald und Prof. Jürgen Weimer arbeitete Volker Scherliess an den ersten Konzepten eines Studienganges für Historische Aufführungspraxis, die schließlich zur Abteilung „Alte Musik“ an der Trossinger Hochschule führten.

Die Zusammenarbeit mit dem 1982 gegründeten Max-Deutsch-Ensemble Trossingen, das als Salonorchester des Deutschen Filmmuseums Frankfurt fungierte, hob Volker Scherliess selbst stets als besonders intensive Erfahrung hervor: die Rekonstruktionen zweier bedeu-tender Stummfilme, „Der Schatz“ von G.W. Pabst mit der Musik von Max Deutsch sowie „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ von Lotte Reiniger mit der Musik von Wolfgang Zeller eröffneten in den 1980er Jahren die Frankfurt Feste in der Alten Oper und gingen auf Einla-dung des Goethe-Instituts in Europa auf Tournee. Von 1991 bis 2010 hatte Volker Scherliess den Lehr-stuhl für Musikwissenschaften an der Hochschule in Lübeck inne, als Autor und Vortragsreferent internatio-nal geschätzt, war er u.a. assoziiertes Mitglied der Max-Planck-Research-Group „Das wissende Bild“ am Kunsthistorischen Institut in Florenz und Mitglied der Thomas-Mann-Gesellschaft der Hansestadt Lübeck, deren Musik-Leben er maßgeblich mitprägte, wie der Nachruf der Lübecker Nachrichten hervorhebt. Mit Volker Scherliess verlässt ein großer Musik- und Kulturvermittler, Forscher und Pädagoge die Bühne, dessen Impulse und Initiativen auch in vielen Biogra-phien seiner Studierenden noch lange nachwirken werden.

Nachruf von Frank Golischewski