Digitale Mediamorphose
Ein Beitrag von Philipp Ahner und Christina Zenk
Digitale musikalische Instrumente erweitern in einer Mediamorphose bzw. Mediatisierung kreative und rezeptive Prozesse. Diese Veränderungen beschäftigen alte traditionelle Wissenschaftsfelder und schaffen zugleich neue Bereiche wissenschaftlicher Forschung und Entwicklung in systematischer, künstlerischer und pädagogischer Sichtweisen.
Das Themengebiet von „Musik und digitalen mobilen Technologien“ wirft im Kontext der digitalen Mediamorphose bzw. Mediatisierung Fragen auf, die sich einerseits auf das Verhältnis von musikalischer Botschaft und Wertigkeiten und andererseits auf technische Bedingungen in der Rezeption wie Produktion von Musik sowie auf allgemeine musikbezogene Lernprozesse beziehen. Beispielsweise hat sich der Spielraum musikpraktischen Umgangs durch die Verschiebung von Komposition zum Design erweitert oder in dem aktuelle Entwicklungen digitaler musikalischer Instrumente vielfältige kreative Prozesse ermöglichen. Zudem führen Musik-Apps auch zum Anlass Instrumenten-Kategorisierungen neu zu überdenken. Ein Ansatz von Théberge Instrumente als „Assemblage“ zu systematisieren, bietet eine Bezugsstruktur, in der Instrumente nicht singulär, sondern als Netzwerk gedacht und technische, soziale, pädagogische, institutionelle und diskursive Kontexte aufgenommen werden (Théberge 2017). Ein anderer Ansatz besteht in einer Kategorisierung nach Handlungsdimensionen der technologischen Applikationen, ähnlich menschlichen musikbezogenen Handlungsdimensionen, in dem Apps Instrumente neue Klänge kreieren, Instrumente imitieren, Messergebnisse von Sensoren visualisieren usw.
In diesen Ansätzen spiegeln sich erste Aspekte einer musikbezogenen Designtheorie wider. Eine musikbezogene Designtheorie hat ihre Gegenstandsbereiche zwar noch genau zu definieren, gleichwohl ist sie mit den Auswirkungen digitaler Technologien auf Produktion und Rezeption von Musik eng verzahnt.
Aktuell besitzen nahezu alle Jugendlichen ein Smartphone. Musikalische Aktivitäten der Jugendlichen mit digitalen Medien beziehen sich jedoch fast ausschließlich auf die rezeptiven Umgangsweisen, beispielsweise mit Streaming-Diensten wie Youtube, Netflix oder Spotify. Gleichzeitig ist für Jugendliche die Peergroup im Umgang mit Musik und digitalen Medien besonders bedeutsam, in dem sie in sozialen Medien und Netzwerken kooperative und kollaborative Prozesse durch chatten, liken, kommentieren oder posten gestalten. Sie erzeugen damit in diesen Peer-to-Peer-Prozessen auch gesellschaftliche und ästhetische Wirklichkeit. Die benutzten Medien haben damit das Vermögen „zu beeinflussen oder zu bestimmen, was Musik ist, als was und wie sie erlebt und verstanden wird“ (Richter 2015, S. 639). Die Transformation des Musiklebens, die in der digitalen Mediamorphose stattfindet, ist in diesem Umstand erkennbar, wenn auch ihr Ausgang noch nicht scharf gezeichnet werden kann (vgl. Smudits 2013, S. 89). Neben der Bedeutung von Musik als ein wichtiges Element neuer Existenzerfahrungen und damit der Ich-Findung im Jugendalter (Baacke 1998) kann man heute ergänzen „Smartphones sind für Jugendliche ein wichtiges Element ihrer Identität“. Ihre Jugendkulturen, die Umgangsweisen mit diesen „schlauen“ Telefonen – Smartphones – sind Teil des alltäglichen Bilds von Jugendlichen aller Gruppierungen.
Aus musikpädagogischer Sicht stellt sich die Frage, wie technologische und die damit einhergehenden ästhetischen Veränderungen insbesondere durch mobile digitale Endgeräte und der darauf installierten Software musikbezogenes schulisches Lernen beeinflussen. In der musikpädagogischen Forschung ist eine solche Auseinandersetzung erst in den Anfängen, so dass wir uns die Frage stellen müssen: „Do we embed music education in the rich world of growing technology or is it vice versa?“ (Baets und Meyer 2012, S. 54). Projekte an Musikschulen, Musik-AGs oder im Ganztagesbereich von Schulen sowie einer dazu entstandenen Forschung erscheinen in diesem Zusammenhang als Vorreiter, während bei Lernprozessen im alltäglichen Musikunterricht in Schulen Apps bisher kaum in Erscheinung getreten sind. Dies bezieht sich auch auf die Musiklehrerbildung. Vor dem Hintergrund erscheint eine musikdidaktische (Entwicklung-)Forschung, die diese Kontexte fokussiert, dringend notwendig.
Quellen
- Baacke, Dieter (1998): Die Welt der Musik und die Jugend. Eine Einführung. In: Dieter Baacke (Hg.): Handbuch Jugend und Musik. Opladen: Leske und Budrich, S. 9–26.
- Baets, Thomas de; Meyer, Herbert (2012): Embedding ICT in Music Education: A Belgian Perspective. In: Marina Gall, Gerhard Sammer und Adri de Vugt (Hg.): European perspectives on music education. New Media in the Classroom. Innsbruck: Helbling (EAS publications, 1), S. 45–54.
- Richter, Christoph (2015): Was machen die Medien aus oder mit der Musik? In: Arne Bense, Martin Gieseking, Bernhard Müßgens und Bernd Enders (Hg.): Musik im Spektrum technologischer Entwicklungen und Neuer Medien. Festschrift für Bernd Enders. Osnabrück: Universität Osnabrück. Erzieh.- u. Kulturwiss (Beiträge zur Medienästhetik der Musik, Band 15), S. 633–641.
- Smudits, Alfred (2013): Musik in der digitalen Mediamorphose. In:,Beate Flash (Hg.): Musik, Medien, Kunst. Wissenschaftliche und künstlerische Perspektiven. Bielefeld: transcript, S. 75–91.
- Théberge, Paul (2017): Musical Instruments as Assemblage: In: Till Bovermann, Alberto de Campo, Hauke Egermann, Sarah-Indriyati Hardjowirogo und Stefan Weinzierl: Musical Instruments in the 21st Century. Identities, Configurations, Practices. Springer: Singapore, S. 59–66.