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In stile rappresentativo – Ein Monteverdi-Pasticcio

Im Rahmen des 1. Baden-Württembergischen Opernschultreffens vom 16. bis 23. Juni 2019 im Wilhelma-Theater in Stuttgart führte die Staatliche Hochschule für Musik Trossingen ein Monteverdi-Pasticcio auf „in stile rappresentativo“ – eine hochschulübergreifende Produktion auf unterschiedlichsten künstlerischen Ebenen. Das Landeszentrum MUSIK–DESIGN PERFORMANCE war daran intensiv mit einer digitalen Inszenierung beteiligt.

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Oxymoron als machtvolles Stilmittel

Alter Knabe, Eile mit Weile, weniger ist mehr – im alltäglichen Gebrauch erscheint die rhetorische Figur des „Oxymoron“ eher belanglos. Im Gestaltungsprozess einer barocken Oper jedoch wird das Aufeinandertreffen zweier sich vermeintlich ausschließender Gegensätze zu einem machtvollen Stilmittel. Es werden Spannungen erzeugt so wie in der Natur, wo sich gewaltige elektrostatische Aufladungen in Form von Blitz und Donner kraftvoll äußern können.

Auch die Musik lebt von Gegensätzen so wie das gesamte irdische Leben und der Kosmos von polaren Rhythmen bestimmt werden – und damit sind wir mitten im Barocktheater: Es erzählt vom menschlichen Leben im Spannungsfeld elementarer Naturgewalten, göttlicher Mächte und widerstrebender Affekte.
Mit „Orfeo“ von Claudio Monteverdi greift die Musikhochschule Trossingen ein Meisterwerk des Barocks auf, das den Ruf genießt, die erste Oper der Musikgeschichte zu sein. Bei der Uraufführung im Jahre 1607 wurde erstmals Instrumentalmusik, Gesang, Tanz und Bühne als eine Einheit verstanden. Das Erzählen findet bei Monteverdi auf allen künstlerischen Ebenen statt, es nutzt Sprache und Poesie, überführt sie in Musik, Klänge und Gesten, diese entfalten sich im Tanz, der seinerseits im Raum des Bühnenbildes mit Architektur, Malerei und Plastik einen vielschichtigen Dialog eingeht.

Der vielschichtige Dialog der Barockoper wird in Trossingen neu interpretiert und erweitert: Das Institut für Alte Musik erarbeitet die Musik, den Gesang, erforscht die barocken Bühnensprachen Tanz, Gestik und Schauspiel. Zusammen mit Tänzerinnen und Tänzern wird dieses Gerüst in intensiven Proben verfeinert, erweitert und auf die Bühne gebracht. Die visuellen Dimensionen werden vom Landeszentrum MUSIK–DESIGN–PERFORMANCE gestaltet. Das Landeszentrum arbeitet mit modernsten digitalen Mitteln, mit Videotechnik, digitaler Szenografie, Virtual Reality und Audiotechnik, es bildet so einen starken Gegenpol zur historischen Aufführungspraxis des Instituts für Alte Musik. Hier schließt sich der Kreis zum Oxymoron. Die moderne Technik ist bei näherem Hinsehen kein Fremdkörper zur Ästhetik der Monteverdi-Zeit, sondern ein Gegenpol, der ausdrucksstarke Spannungen erzeugen kann. Und sie kann sich subtil in das Barocke einbinden. Barocktheater liebt das Trompe-l’œil und ephemere Phantasiewelten, die mit allen Mitteln der Kunst von den großen Menschheitsthemen handeln. Das ist nahe verwandt mit den virtuellen Welten unserer Zeit.

    Künstlerische Leitung:

    Inszenierung / Choreografie / Historische Gestik:

    • Bernd Niedecken(Inszenierung und Choreografie)
    • Deda Cristina Colonna (Choreografie und Historische Gestik)

    Digitale Szenografie

    Komposition für digitale Medien

    Instrumental- und Vokalensemble

    • Studierende der Hochschule für Musik Trossingen
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    Idee des immersiven Klangs weiter entwickelt

    Seit Ende 2016 baut das Landeszentrum MUSIK–DESIGN–PERFORMANCE an der Staatlichen Hochschule für Musik Trossingen Brücken zwischen künstlerischen Traditionen und innovativen Ansätzen des digitalen Zeitalters.

    Im Rahmen der Trossinger Produktion „in stile rappresentativo“ stehen Raum und Räumlichkeit im Mittelpunkt der digitalen Inszenierung, womit gleichsam eine Traditionslinie bis zurück zu frühen Kompositionspraktiken verfolgt werden kann. Fra Ruffino d‘Assisi, Domkapellmeister in Padua, schrieb um 1510–20 erstmals achtstimmig Psalmen „a coro spezzato“, das heißt für einen geteilten Chor. Adrian Willaert baute diese Technik besonders in seinen achtstimmigen Salmi spezzati von 1550 weiter aus. Die Erfindung der Raummusik im 16. Jahrhundert geht damit dem kompositorischen Schaffen Claudio Monteverdis (1567-1643) unmittelbar voraus. Der Markusdom in Venedig, zu dessen illustrer Liste von berühmten Kapellmeistern auch Monteverdi (im Jahr 1613) gehört, steht paradigmatisch für die Wirkungsbeziehung von Architektur und kompositorischer Idee: Die Position des Klanges wird zum Parameter der Musik. Diese Zeit markiert damit einen Höhepunkt an visionärem, sinnlichen Schaffen in der Musik und der Rezeption von Klang. Erst im 20. Jahrhundert wird diese Idee des immersiven Klanges wieder aufgegriffen und weiterentwickelt. Möglich wurde dies erst durch die Loslösung des Klangs vom Instrument durch den universalen Klangwandler, den Lautsprecher. Architekten und Komponisten erforschten mit den neuen technischen Möglichkeiten gemeinsam die Faszination des Raumklanges. Berühmte Beispiele sind der Philips Pavillon von Le Corbusier und Iannis Xenakis (1958) oder das Kugelauditorium als deutscher Beitrag zur Expo 1970 in Osaka von Karlheinz Stockhausen, Boris Blacher und Fritz Bornemann.

    Das Landeszentrum MUSIK–DESIGN–PERFORMANCE integriert Raumklangerfahrungen in den Opernabend durch einen Klangdom im Foyer des Stuttgarter Wilhelma-Theaters. Hier werden vor und nach dem Bühnenprogramm Raumklangkompositionen und digital komponierte Musik mit dem Klangmaterial von Kompositionen von Carlo Gesualdo von Ludger Brümmer aufgeführt. Dieses Material wird ebenfalls dazu benutzt, eine Metadramaturgie im Ablauf der Originalkompositionen Monteverdis herzustellen und diese bewusst mit der Moderne zu konfrontieren.

    Zusätzlich schafft die Erweiterung des Bühnenraums mit digitalen szenografischen Elementen von Thorsten Greiner und Dagmar Vinzenz einen bewussten Gegenpol zur historischen Aufführungspraxis des Instituts für Alte Musik. Dabei transformieren sie unter anderem Merkmale barocker Bühnenbilder und Inszenierungen in abstrakte visuelle geometrische Formen und algorithmisch generierte Partikelströme.

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